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NDR 45 Minuten Schweine-Experiment: Zurück in die Vergangenheit?

20107 NDR 45 Min 1

Mit einer traumhaften Sendedauer von 45 Minuten hat der NDR gestern das gleichnamige Format NDR 45 Minuten mit dem Thema Das Schweine-Experiment ausgestrahlt. Die Redaktion wollte das Leben eines Hybridschweins darstellen und zeigen, wie viel Urinstinkte in ihnen noch steckten. Das Ergebnis - Oh Wunder - Hausschweine zeigen noch natürliche Verhaltensmuster. Alles toll, alles besser in einer Haltungsumwelt wie man sie vor vielen Jahrzehnten kannte? ISN: Weit gefehlt, leider wurde nicht gezeigt, warum sich die Schweinehaltung nicht nur aus ökonomischen Gesichtspunkten weg von dieser Bauer sucht Frau- Idylle zur heutigen Form entwickelt hat.

 

Bauernhofidylle vs. moderne Tierhaltung

Der Beitrag zeigt scheinbar idyllische Bilder von einer Sau, die mit drei Ferkeln auf der Weide läuft, untermauert mit melancholischer Musik und natürlich bei gutem Wetter. Wie in einer Traumwelt haben die Schweine ein Schlammbad zum Suhlen, Steinberge zum Klettern und nicht zu vergessen natürlich bewühlbaren Untergrund. Dazu ein Landwirt, der einen scheinbar autarken Hof bewirtschaftet und sich mit seiner Kaffeetasse gerne zu den Tieren setzt, um die Pause gemeinsam zu verbringen. Demgegenüber wird der Betrieb gezeigt, der dem Freizeitbauern die drei Schweine für das Experiment verkauft hat. Ein hochmoderner konventioneller Vorzeigebetrieb, auf dem 800 Sauen gehalten werden. Es werden Bilder aus dem Sauenstall gezeigt, der die gesetzlichen Anforderungen erfüllt und durch weitere Tierwohlmaßnahmen sogar deutlich übersteigt. Natürlich aber keine grüne Wiese, sondern Spaltenboden. Die Tierhaltung sei nicht artgerecht, so die Schlussfolgerung des Beitrags.

Moderne Tierhaltung nicht nur aus ökonomischen Gründen

Immer wieder wird in diesem Beitrag die Bauernhofidylle mit der Realität der Schweinehaltung vermischt. Der Weg hin zur aktuellen Form der Nutztierhaltung wurde komplett ausgelassen. Denn nicht nur aus ökonomischen und Arbeitsgründen hat sich die Tierhaltung weiterentwickelt, sondern auch aus Tier-, Umwelt- und Ressourcenschutzgründen. So gehen von der Weidehaltung beispielsweise punktuell starke Umweltbelastungen aus. Auch die Tiere haben einige Herausforderungen. Eine, nämlich der Sonnenbrand, wurde im Beitrag beschrieben. Alle weiteren Aspekte, wie Parasitenbefall, deutlich höhere Mortalitätsraten insbesondere in den Wintermonaten und noch viele weit schlimmere blieben unerwähnt.

 

Keiner war zum Interview bereit?

Auf die Spitze treibt es die Redaktion mit der Aussage, dass aus der Landwirtschaft niemand zum Interview bereit war. Das ist schlichtweg falsch. Auf schriftliche Anfrage haben wir gemeinsam mit einem Landwirt zugesagt, uns zu einem Interview zu treffen. Dies wurde jedoch kurzfristig fadenscheinig aus Kostengründen von der Produktionsfirma abgesagt. Nun zu sagen, es war keiner zum Interview bereit, ist eine Frechheit. Uns erscheint es, dass die zusätzlichen Kosten als Absagegrund vorgeschoben wurden, das Drehbuch längst geschrieben war und andere Meinungen nur gestört hätten - Schade.

NDR, ist das Qualitätsjournalismus?

Man muss sich schon die Frage stellen, was soll die Darstellung einer verzerrten Bauer sucht Frau-Idylle? Selbst dem Laien sollte klar geworden sein, dass die weit an der Realität vorbei geht und auch keine Perspektive hat. In einem Experiment würde es auch funktionieren, wieder wie im Steinzeitalter zu leben oder die Transporte mit Leiterwagen und Pferd zu bewerkstelligen. Wollen wir deshalb zurück in die Vergangenheit? – wohl kaum. Beim Schweine-Experiment wurde aber der Eindruck erweckt, dass die Vergangenheit die Zukunft ist. Warum wurden die Vorteile der Entwicklung in der Tierhaltung völlig ausgeblendet – oder besser gesagt verschwiegen? Genauso wie die aktuellen Diskussionen um die Weiterentwicklung der Tierhaltung an den vielen runden Tischen, die es landauf und landab gibt und die sich gerade auch mit dem im Beitrag genannten wissenschaftlichen Gutachten intensiv beschäftigt haben. Wenn man schon eine Bewertung der heutigen Haltungssysteme vornimmt, dann müssen auch diese dargestellt werden. Das gebietet die journalistische Sorgfalt. Auch wenn eine externe Produktionsfirma einen Beitrag erstellt, muss der Auftraggeber NDR dies überprüfen – gerade als öffentlich rechtlicher Sender.


Hier finden Sie "Das Schweine-Experiment" in der NDR-Mediathek

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