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Bundesrat beschließt Novelle der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung

Am 03.07.2020 wurde die Siebte Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung im Bundesrat beschlossen.

Am 03.07.2020 wurde die Siebte Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung im Bundesrat beschlossen.

Der Bundesrat hat heute nach mehrjährigem Ringen den Änderungen zur Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zugestimmt. Die Hauptpunkte: Gruppenhaltung der Sauen im Deckzentrum in spätestens acht Jahren, Bewegungsbucht im Abferkelbereich in spätestens 15 Jahren sowie organisches und faserreiches Beschäftigungsmaterial für alle Schweine.

 

ISN: Es war ein jahrelanges Gezerre, das die Sauenhalter mürbe gemacht hat. Insofern ist es zu begrüßen, dass es nun zur Entscheidung gekommen ist. So gibt es Planungssicherheit, allerdings sind die Neuregelungen riesige Brocken, welche die Schweinehalter und ganz besonders die Ferkelerzeuger nun zu bewegen haben. Ob die deutschen Sauenhalter trotz dieser dicken Brocken neben der Planungssicherheit auch eine Perspektive bekommen, hängt maßgeblich von der Ausgestaltung wichtiger Details und davon ab, wie sie nun bei der Umsetzung durch den Bund und die Länder unterstützt und begleitet werden. Die eigentliche Arbeit fängt nun also erst an.

 

Ende eines jahrelangen politischen Tauziehens

Heute hat das Ringen um die Neuregelung der Vorgaben zur Sauenhaltung nach jahrelangem Gezerre ein Ende gefunden – der Bundesrat hat der Novelle der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung mehrheitlich zugestimmt. Bereits im Sommer 2017 hatten der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt ein Eckpunktepapier und der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer eine Bundesratsinitiative auf den Weg gebracht. Beide Vorschläge ähnelten sich sehr stark, kamen aber im Angesicht der damals anstehenden Bundestagswahl und wechselnder Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat nicht bis zur Entscheidung. Es folgte ein jahrelanges Gezerre um die Neuregelung mit immer neuen Vorschlägen und Vorstößen im Bundesrat. Zuletzt war das Thema mehrfach von der Tagesordnung des Bundesrates genommen worden, weil keine Einigung möglich war.

 

Der Druck des Magdeburger Urteils

Mit dem Druck des Magdeburger Urteils von 2015 im Nacken haben einige Bundesländer und Teile der Politik bis zuletzt auf den sofortigen Umbau im Deckzentrum gesetzt und bis heute fordern dies einige NGOs und spezielle Medien. So hatten beispielsweise bei der letzten Bundesratssitzung im Juni die Grünen ihren Einfluss in den Ländern geltend gemacht und einen Kompromissvorschlag aus NRW verhindert. Bis zuletzt kamen zudem immer wieder Forderungen nach einer komplett freien Abferkelung auf den Tisch. Aber auch in den Reihen der Grünen bis hinauf zur Parteispitze ist die Erkenntnis gereift, dass ein sofortiger Umbau ohne Übergangszeit das Ende für die meisten Ferkelerzeugerbetriebe in Deutschland bedeutet hätte. Nun hat der gemeinsame Vorschlag der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen eine Mehrheit gefunden. Entscheidender Punkt, der den Knoten zum Platzen gebracht hat, war die Ausrichtung im Deckzentrum - weg vom Kastenstand, ganz ausgerichtet auf die Gruppenhaltung. Dafür gibt es nun aber acht Jahre Übergangszeit für den Umbau des Deckzentrums und 15 Jahre für den Abferkelbereich. Und: Im Abferkelbereich wird keine freie Abferkelung kommen, sondern eine Bewegungsbucht mit bis zu fünf Tagen Fixierung und einer Größe von mindestens 6,5 m².

 

Wie sollen die Sauen zukünftig im Deckzentrum gehalten werden?

Die Haltung der Sauen im Deckzentrum wird ganz auf die Gruppenhaltung ausgerichtet. Eine Fixation von Sauen im Rahmen des Reproduktionszyklus ist nur noch zum Zeitpunkt der Besamung zulässig. Nach der Besamung ist die Sau unmittelbar in die Gruppenhaltung im Wartebereich zu überführen. Die Anforderungen an die Gruppenhaltung im Wartebereich ändern sich nicht, so die wörtliche Erläuterung im Verordnungsantrag.

Auch in dem Zeitraum vom Absetzen bis zur Besamung ist Gruppenhaltung vorgesehen. Für diese Phase gibt es weitreichende Vorgaben:

  • eine uneingeschränkt nutzbare Fläche von 5 m² je Sau
  • davon müssen analog zum Wartebereich 1,3 m² mindestens als Liegefläche (max. 15 % Schlitzanteil) ausgestattet sein.
  • ein weiterer Teil soll als Aktivitätsbereich zur Verfügung stehen.
  • Für die Sauen sollen Rückzugsmöglichkeiten in ausreichendem Umfang vorhanden sein. Fress-Liegebuchten oder sonstige Fressplätze stellen keine Rückzugsmöglichkeit dar, heißt es im Verordnungstext. In den Erläuterungen werden jedoch genau Beispiele mit Fress-Liege-Buchten genannt – scheinbar geht es darum, dass weitere Strukturelemente vorhanden sein sollen.

 

Wie lange dauert die Übergangszeit für das Deckzentrum und was muss in der Zeit beachtet werden?

Die Umstellung auf die Gruppenhaltung im Deckzentrum muss in spätestens 8 Jahren erfolgt sein. Nach drei Jahren ist spätestens ein Konzept vorzulegen, wie die Anpassung im Betrieb erfolgen soll. Nach fünf Jahren muss dann spätestens ein Bauantrag für die Anpassungsmaßnahmen gestellt sein.

Während der Übergangszeit können die geforderten Maßnahmen innerhalb der bestehenden Bauhülle mit einfachen Mitteln praktisch umgesetzt werden und die bestehenden Kastenstände sowohl hinsichtlich ihrer Breite als auch ihrer Länge weiter genutzt werden, so der Erläuterungstext zur Verordnung. Jede Sau muss aber in der Übergangszeit im Kastenstand die Gliedmaßen in Seitenlage ausstrecken können, ohne dass dem ein bauliches Hindernis entgegensteht. Das heißt, dass die Kastenstände so dimensioniert und gestaltet sein müssen, dass die Sauen auf der Seite liegen und ihre Beine in den Nachbarstand strecken können müssen.

 

Wie sollen die Sauen zukünftig im Abferkelstall gehalten werden?

Sauen sollen im Abferkelstall zukünftig maximal 5 Tage um die Geburt der Ferkel herum fixiert werden. Das heißt, bei dem Zielsystem handelt es sich um ein unter dem Begriff Bewegungsbucht bekanntes System. Die Abferkelbucht muss insgesamt mindestens 6,5 m² groß sein.

 

Wie lange dauert die Übergangszeit für den Abferkelbereich und was muss in der Zeit beachtet werden?

Die Umstellung auf die Bewegungsbucht muss in spätestens 15 Jahren erfolgt sein. Nach zwölf Jahren ist spätestens ein Konzept vorzulegen und ein Bauantrag für die Anpassungsmaßnahmen gestellt sein. Bei Härtefällen können die Behörden weitere zwei Jahre Zeit geben. In der Zwischenzeit muss gewährleistet sein, dass die Sauen Kopf und Gliedmaßen in Seitenlage ausstrecken können und genügend Bewegungsfreiheit für ungehindertes Abferkeln und geburtshilfliche Maßnahmen entsteht.

 

Gibt es auch Neuregelungen für die Schweinemäster?

Neben den Regelungen zur Haltung der Sauen bringt die Verordnung noch einige weitere Vorgaben, die alle Schweinehalter betreffen und mit der endgültigen Verkündung der Verordnungsnovelle bzw. sechs Monate danach in Kraft treten. Beispielsweise sind das die folgenden wichtigsten Punkte:

  • Das Beschäftigungsmaterial muss nun organisch und faserreich sein. Was genau das heißt, wird in den Ausführungshinweisen festzulegen sein.
  • Bei der Fütterung wird nur noch zwischen rationiert und ad libitum unterschieden – die bisherige dritte Variante, die tagesrationierte Fütterung entfällt. Hier ist eine Klarstellung z.B. in Ausführungshinweisen nötig, um darzulegen, dass weit verbreitete Systeme (z.B. Sensorfütterung) mit entsprechenden Rahmenbedingungen von dieser Neuregelung nicht betroffen sind.
  • Der Wegfall des Wortes dauerhaft in Zusammenhang mit der Überschreitung von Schadgasmessungen. Da eine Einzelüberschreitung eines Grenzwertes aus fachlicher Sicht nicht geeignet ist, um die Luftqualität im Stall zu beurteilen, muss hierzu in den Ausführungshinweisen dargelegt werden, wie die Regelung unter dem Wegfall des Wortes dauerhaft nun zu interpretieren ist.

 

Gibt es Unterstützung bei der Umstellung?

In einer Protokollerklärung zum heutigen Beschluss hat die Bundesregierung angekündigt, dass mit den im Corona-Konjunkturprogramm vorgesehenen 300 Mio. Euro Stallumbauten gefördert werden sollen und das möglichst über den bislang vorgesehenen Zweijahreszeitraum hinaus. Grundsätzlich soll die Förderung daran geknüpft sein, dass die Umbaumaßnahmen deutlich vor den in der Verordnung geplanten Übergangsfristen erfolgen oder über die darin gestellten Anforderungen hinausgehen.

 

ISN meint:

Es war ein jahrelanges Gezerre, das die Sauenhalter mürbe gemacht hat, insofern ist es zu begrüßen, dass es nun zur Entscheidung gekommen ist. So gib es Planungssicherheit, allerdings sind die Neuregelungen riesige Brocken, welche die Schweinehalter und ganz besonders die Ferkelerzeuger nun zu bewegen haben.

Nicht nachvollziehbar ist beispielsweise, warum man die Platzvorgaben im Deckzentrum mit 5 m² je Sau so derartig hochgeschraubt hat. Wenn nicht einmal die Biobetriebe unter Anrechnung des Auslaufs diese Fläche erreichen, macht das deutlich, wie praxisfremd dieser Wert ist. Bereits ohne diese Regelung liegen die im Deckzentrum und Abferkelbereich notwendig werdenden Investitionskosten um 2.000 € je Sau, für einen Betrieb mit 500 Sauen sind das ca. 1 Mio. € und für alle Ferkelerzeuger in Deutschland etwa 3 bis 3,5 Mrd. €. Daraus eine Perspektive abzuleiten, die nicht nur das Ausstiegsdatum im Blick hat, ist ganz bestimmt nicht einfach.

Aber: Für den Abferkelbereich gibt es nun 15 Jahre und für das Deckzentrum zumindest 8 Jahre Zeit für die Umrüstung. Das ist äußerst knapp, aber angesichts der auch geäußerten Forderung nach sofortiger Umsetzung wenigstens eine Basis für die betriebliche Entwicklung. Eine weitere wichtige Basis für das weitere Arbeiten ist zudem, dass eine Fixierung der Sau in der Abferkelbucht zumindest für wenige Tage erlaubt bleibt. In wie weit sich hieraus eine Perspektive für die Schweinehaltung ableiten lässt, hängt nun maßgeblich von der Unterstützung bei der Umsetzung der neuen rechtlichen Vorgaben ab.

 

Erstens müssen bei vielen Punkten noch wichtige Details und Interpretationen z.B. in entsprechenden Ausführungshinweisen ausgestaltet werden.

Zweitens müssen genehmigungsrechtliche Hürden aus dem Weg geräumt werden, damit eine Umsetzung überhaupt möglich ist – hier sind wichtige rechtliche Voraussetzungen zu schaffen.

Drittens müssen die Betriebe bei ihren Investitionen finanziell unterstützt werden, weil der Markt die erheblichen Mehrkosten nicht tragen wird. Die in Aussicht gestellten 300 Mio. € aus dem Corona-Konjunkturprogramm sind hier für den Umbau des Deckzentrums ein guter Anfang – aber angesichts der riesigen Investitionssummen eben nur ein Anfang auf dem man aufsatteln muss. Zudem muss sichergestellt werden, dass diese Fördermittel auch für die Schweinehalter erreichbar sind.

 

Bund und Länder haben es also in der Hand, ob mit der heute getroffenen Entscheidung der Ausstieg aus der Ferkelerzeugung in Deutschland besiegelt und terminiert ist oder ob daraus auch eine Perspektive für deutsche Ferkelerzeuger erwachsen kann. Mit dem heutigen Beschluss ist somit die Arbeit nicht zu Ende – im Gegenteil es ist ein klarer Arbeitsauftrag an Bund und Länder, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass die Umsetzung der neuen Vorgaben bei Erhalt der deutschen Ferkelerzeugung möglich ist.


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