08.12.2022rss_feed

Tierhaltungskennzeichnungsgesetz: Borchert-Konzept adé und freie Fahrt für Importfleisch

Das Bundeskabinett hat zu den Änderungsempfehlungen des Bundesrates zum Gesetzentwurf für eine Tierhaltungskennzeichnung in einer Gegenäußerung Stellung genommen. ©ISN/Jaworr, Canva, BMEL

Das Bundeskabinett hat zu den Änderungsempfehlungen des Bundesrates zum Gesetzentwurf für eine Tierhaltungskennzeichnung in einer Gegenäußerung Stellung genommen. ©ISN/Jaworr, Canva, BMEL

Das Bundeskabinett hat zu den Änderungsempfehlungen des Bundesrats zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz gestern eine Gegenäußerung veröffentlicht. Darin erteilt die Bundesregierung der Ausweitung der Haltungskennzeichnung auf ausländische Produkte eine Absage und teilt die gänzliche Abkehr von den Empfehlungen der Borchert-Kommission mit, berichtet Agra Europe.

ISN: Beispiellos ignorant ist es, wie die Bundesregierung Hauptkritikpunkte am Gesetzentwurf mit rechtlichen Bedenken vom Tisch wischt. Nun sind die Abgeordneten des Bundestages an der Reihe, die vielen eingebrachten Kritikpunkte ernst zu nehmen und eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfes fordern.

 

Ende November hat der Bundesrat dem Entwurf der Bundesregierung zum Tierhaltungskennzeichnungsgesetz mit zahlreichen Änderungsempfehlungen zugestimmt. Bevor der Gesetzentwurf im nächsten Schritt zur weiteren parlamentarischen Abstimmung (am 15.12.22) in den Bundestag geht, hat das Bundeskabinett gestern ein Gegenäußerung veröffentlicht.

 

Ausweitung der Haltungskennzeichnung auf ausländische Produkte abgelehnt

Die Bundesregierung lehnt eine Ausdehnung der geplanten verpflichtenden staatlichen Haltungskennzeichnung auf ausländische Produkte ab. In ihrer vom Kabinett beschlossenen Gegenäußerung verweist die Regierung auf rechtliche Bedenken, die gegen eine Kennzeichnungspflicht für Waren spreche, die ganz oder auch nur teilweise außerhalb Deutschland hergestellt werden. Eine solche Regelung ist eine von knapp 60 Änderungen, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz fordert.

 

Ausweitungszeitpunkt der Kennzeichnung bleibt offen

Offen zeigt sich die Regierung gegenüber der Kritik der Länderkammer, die Kennzeichnung zunächst auf frisches Schweinefleisch und den Abschnitt der Mast sowie die Vermarktung über den Lebensmitteleinzelhandel zu beschränken. Laut Gegenäußerung soll die verpflichtende staatliche Kennzeichnung schrittweise auf Vermarktungswege, Haltungsabschnitte, Produkt- und Tierarten ausgeweitet werden. Allerdings wird nicht weiter ausgeführt, wann und wie das erfolgen soll.

 

Anpassung der TA-Luft und weitergehende Finanzierung

Die Regierung betont zudem die Notwendigkeit, Anpassungen im Bereich immissionsschutzrechtlicher Regelungen vorzunehmen, um den Um- und Neubau tierwohlgerechter Ställe zu erleichtern. Parallel zum Gesetz sollen demnach verlässliche und klare Vollzugsregelungen zur TA-Luft beschlossen werden. Ziel sei es, die Erleichterung von Emissionsminderungsverpflichtungen für qualitätsgesicherte Haltungsverfahren mit den Kriterien für die Haltungsformen Frischluft, Auslauf/Freiland und Bio in Einklang zu bringen.

Geteilt wird schließlich die Forderung des Bundesrates nach einem Finanzierungskonzept für den Umbau der Tierhaltung. Nachdem mit der Bereitstellung von 1 Mrd. Euro im Bundeshaushalt eine Anschubfinanzierung ermöglicht werde, werde eine Koalitionsarbeitsgruppe über eine weitergehende Finanzierung beraten, heißt es in der Gegenäußerung.

 

Ausdrückliche Abkehr von Borchert-Empfehlungen

Nicht einverstanden ist die Regierung mit der Forderung der Länderkammer, dass der Umbau der Tierhaltung auf der Grundlage der Vorschläge der Borchert-Kommission erfolgen müsse. Sie argumentiert, dass sich die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks von 2020 an dem damals vorgesehenen Konzept eines freiwilligen Tierwohlkennzeichens sowie den Stufen 2 bis 4 vom Haltungsformkennzeichen des Lebensmitteleinzelhandels orientiert hätten. Der nunmehr geplanten staatlichen Tierhaltungskennzeichnung liege ausdrücklich kein Stufenmodell zugrunde.

 

Die ISN meint:

Diese Ignoranz des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir und des gesamten Bundeskabinetts ist unerträglich. Der Gesetzesentwurf zur Tierhaltungskennzeichnung soll durch die parlamentarischen Instanzen gepeitscht werden, obwohl der Bundesrat gerade erst in seiner Stellungnahme fast 60 Änderungen eingefordert hat. Und zuvor haben bereits landwirtschaftliche Organisationen sowie Tier- Umwelt- Naturschutzverbände und weitere Organisationen in über 30 Stellungnahmen – alle veröffentlicht auf der Internetseite des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) – massive und einhellige Kritik geäußert und die Mängel aufgeführt.

Beispiellos ignorant ist es, wie die Bundesregierung Hauptkritikpunkte mit rechtlichen Bedenken vom Tisch wischt, kritisiert ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack die Reaktion des Kabinetts auf die wohl überlegt eingebrachten Einwände zum Gesetzentwurf. Geradezu unverfroren ist die generelle Absage an das Borchert-Konzept, so Staack. Er führt weiter aus: Da ist es doch kein Wunder, wenn jegliches Vertrauen in die Politik schwindet. ‚Hü und Hott‘ – für die Schweinehalter geht jegliche Planbarkeit verloren. Dass die FDP hier mauert, dürfte inzwischen hinlänglich bekannt sein. Doch was macht die SPD? Hat die größte Ampelpartei nicht in der vergangenen Legislaturperiode auch im Bund mitregiert, als das Borchert-Konzept entwickelt wurde, das den Tierhaltern endlich wieder eine Perspektive eröffnen sollte? Und erst vor wenigen Monaten hat man sich auch aus den Reihen der SPD noch zum Borchert-Konzept bekannt. Wie passt das mir dem jetzigen Vorgehen des Kabinetts zusammen?

Staack fordert von allen Abgeordneten des Bundestages aber insbesondere von denjenigen der SPD: Machen Sie sich ehrlich! Setzen Sie dem Spuk des vorliegenden mangelhaften Gesetzentwurfes aus dem BMEL ein Ende und sorgen Sie für eine sinnvolle verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung. Nehmen Sie die vielen eingebrachten Kritikpunkte ernst und fordern Sie eine grundlegende Überarbeitung des Entwurfes. Verabschieden Sie sich nicht vom Grundgedanken des Borchert-Konzeptes – verabschieden Sie sich nicht von der Tierhaltung in Deutschland.


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