08.01.2016rss_feed

Kommt das Post-Antibiotika-Zeitalter? Meyer verschleiert Fakten mit rhetorischer Dramatik

Antibiotika Kuehlschrank

Das Thema Antibiotikaeinsatz in der Nutztierhaltung bleibt auch 2016 ein heißes Thema. Den Auftakt macht gestern der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer gemeinsam mit dem BUND, welche zu einem Diskussionsabend mit dem Thema Wundermittel Antibiotika - Einsatz in Tierställen und die Folgen für die Gesundheit von Mensch und Tier nach Berlin geladen hatten.

 

Meyer wirft Landwirten Verschwendung vor

Während der Diskussion forderte Meyer von den Landwirten, mit Medikamenten für Masttiere nicht weiter so verschwenderisch umzugehen wie bisher, damit es nicht zu noch mehr multiresistenten Keimen in der Humanmedizin komme. Ohne Richtungswechsel steuern wir gradewegs in ein Post-Antibiotika-Zeitalter, und auch das letzte Reserveantibiotikum werde für Menschen nutzlos, meint Meyer.

 

Colistin, das neue Damoklesschwert

Weltweit wird eine zunehmende Resistenz gegen das Antibiotikum Colistin gemeldet, erstmals nachgewiesen in China – ausgehend vom Keim Gen mcr-1. Colistin kommt auch in Deutschland bei schweren Infektionen in der Nutztierhaltung zum Einsatz, ist aber auch für bestimmte Darmerkrankungen beim Menschen eine entscheidende Therapieoption. Das Resistenzgen mcr-1 ist laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bereits in Darmbakterien von Menschen und Nutztieren in Deutschland nachgewiesen worden, vor allem in Salmonellen aus Geflügelbeständen.

 

Diese Meldung ist für Veterinärmediziner und Landwirte eine ebenso alarmierende Nachricht – auch wenn Meyer Vortrag, Colistin zähle zu den am häufigsten im Agrarbereich eingesetzten Arzneien, so nicht haltbar ist. Das BfR berichtete gestern, dass es bereits vorher Colisting-resistente Bakterien bei Nutztieren gab, und deren Anzahl in den vergangenen Jahren nicht angestiegen ist. Das neue Gen mcr-1 könne sich jedoch im Gegensatz zu anderen Resistenzen zwischen Bakterien übertragen - in wie weit dies bei der Behandlung von Menschen eine Rolle spielt, muss noch erforscht werden.

 

Podiumsdiskussion um Verantwortlichkeit

Wolfgang Witte vom Robert-Koch-Institut betonte während der Podiumsdiskussion, im Sinne einer One-Health-Strategie seien Tier- und Humanmedizin gleichermaßen bei der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes gefordert. Friedrich-Otto Ripke vom Verband der Niedersächsischen Geflügelwirtschaft (NGW) zog den Vergleich mit den Niederlanden, die ihren Antibiotikaeinsatz in kurzer Zeit um über 50 % minimiert hätten.

 

Auch inhaltlich völlig falsche Aussagen mussten sich die Zuhörer anhören, so zum Beispiel den BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger, der bei seiner Meinung blieb, ohne Antibiotika würde viele Nutztiere die aktuelle Hochleistungszucht gar nicht überleben. Die Ursachen aller Erkrankungen sind in seinen Augen allein die Haltungsbedingungen. Abschließend verlangte Meyer vom Bund eine Negativliste mit ab sofort verbotenen Reserveantibiotika für die Tierhaltung.

 

ISN meint: Fakten statt Hollywood

Statt auf Fakten setzt Meyer wohl bevorzugt auf rhetorische Stilmittel – schließlich macht die Warnung vor einem Hollywood-reifen Post-Apokalyptischen-Endzeit-Szenario viel mehr Eindruck, als die nüchternen Fakten. Die besagen zum Beispiel, dass

- der Verkauf von Antibiotika für Tiere (alle Arten) laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) in Deutschland von 2011 bis 2013 um 15% sank

- die Menge der verabreichten Antibiotika in der Tiermedizin 2014 erneut um 15% gegenüber dem Vorjahr verringert werden konnte

- nur 1,3% der in der Tierhaltung verordneten Gesamtantibiotikamenge zu den Reserveantibiotika zählten, wobei die Abgabe von Cephalosporinen der Generation 3 und 4 sowie Fluorchinolonen - die für die Humanmedizin von besonderer Bedeutung sind - zum Vorjahr stabil blieb.

 

Landwirtschaftliche Experten und Praktiker arbeiten seit einigen Jahren unter Hochdruck an der Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes – mit vorzeigbarem Erfolg, denn die Anstrengungen der Branche zeigen allmählich Wirkung. Auch der hohe Aufwand der Wirtschaft für das QS-Antibiotikamonitoring zahlt sich jetzt aus. Denn es liegt im besonderen Maße auch im Interesse der Veterinäre und Landwirte, Resistenzen vorzubeugen. Es kann nicht sein, dass Landwirte hier aktiv mitgestalten und in Vorleistung gehen, aber trotzdem immer wieder mit falschen Behauptungen am Pranger landen. Bitte Fakten statt Hollywood, Herr Meyer! Und auch wenn es der BUND-Vorsitzende Herr Weiger nicht wahrhaben will, Fakt ist: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Das ist aktiver Tierschutz! Ein umfassendes und grundsätzliches Verbot von Reserveantibiotika lehnt die ISN aus Gründen des Tierschutzes bei schwerwiegenden bakteriellen Erkrankungen daher ab.

 


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