20.11.2015rss_feed

ISN-Klönabend: Preiskrise bleibt, politische Diskussion mäßigt sich

Stellten sich den Fragen der Landwirte: (v.r.) Christian Schulze Bremer (ISN), Heribert Qualbrink (Westfleisch), Dr. Wilhelm Jaeger (Tönnies), Dr. Torsten Staack, Philipp Schulze Esking, Matthias Quaing und Dr. Karl-Heinz Tölle (alle ISN)

Stellten sich den Fragen der Landwirte: (v.r.) Christian Schulze Bremer (ISN), Heribert Qualbrink (Westfleisch), Dr. Wilhelm Jaeger (Tönnies), Dr. Torsten Staack, Philipp Schulze Esking, Matthias Quaing und Dr. Karl-Heinz Tölle (alle ISN)

Der Saal war mit rund 150 Teilnehmern beim ISN-Klönabend am vergangenen Dienstag in Dülmen (Kreis Coesfeld) zwar voll, die Stimmung bei den meisten Landwirten aufgrund der Preiskrise jedoch verhalten. Aber auch wenn die Referate und die Podiumsdiskussion die aktuelle Situation schonungslos offenlegten, wehte bei allem Frust auch ein Lüftchen der Zuversicht durch den Saal, denn nicht alle Anzeichen stehen auf Sturm.

 

Was kommt, was bleibt, was geht? Politik und Gesellschaft verändern den Ton

ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack beschrieb die derzeitige Wahrnehmung politischer und medialer Themen. Während die mediale Schelte über die Landwirtschaft damals wie heute ihren Platz in der Presse findet, verändert sich derzeit (endlich) langsam der Ton der Kritik – vor allem in der Politik. De facto wird hier seit Jahren über dieselben Themen gesprochen und die Umsetzung wie Kaugummi in die Länge gezogen, vom Kupierverzicht über Antibiotika bis hin zur Kastration und Emission. Der Ton ist jedoch weniger rau, der Blick dank intensiver Bemühungen der Landwirte differenzierter, und erstmals erscheinen Themen wie Einkommenssicherung und Strukturwandel auf der Agenda.

 

Alles wohl beim Tierwohl?

Auch das Thema Initiative Tierwohl (ITW) brannte den Zuhörern unter den Nägeln. Ein runder Tisch mit REWE und Co. macht doch überhaupt keinen Sinn mehr, meinte ein Landwirt, der Lebensmitteleinzelhandel bricht seine Zahlungsversprechen und kauft das Fleisch lieber billig aus Spanien, da fehlt jedes Vertrauen in faire Verhandlungen. ISN-Vorstandsmitglied Christian Schulze Bremer erklärte, warum die Bemühungen um Runde Tische, ITW und politische Mitbestimmung mühsam, aber wichtig seien: Wir treffen in den Gesprächen immer wieder auf andere Branchen, Behörden, Verbände und Politiker, denen wir erst einmal reines Grundwissen vermitteln müssen. Wenn alle Forderungen umgesetzt würden, die gestellt werden, gäbe es die Tierhaltung schon gar nicht mehr. Am Runden Tisch können wir die Machbarkeit der Anforderungen darlegen, was uns vor allem auf politischer Ebene Luft verschafft.

 

Das ist auch mit ein Grund, warum wir an so vielen Projekten z.B. zu Haltungsformen oder Kastrationsverzicht beteiligt sind. Damit wollen wir gegenüber der Politik nicht auf Zeit spielen, sondern Lösungen finden – und das erweist sich in der Praxis häufig als schwieriger als gedacht, ergänzt der stellvertretende ISN-Vositzende Philipp Schulze Esking. Die gezielte Kennzeichnung von ITW-Fleisch mit einem Label lehnten die Experten beim Klönabend zum derzeitigen Zeitpunkt geschlossen ab. Das wäre aktuell zum Scheitern verurteilt, glaubt Dr. Wilhelm Jaeger, Leiter der Abteilung Landwirtschaft bei Tönnies. Vergleichen Sie das ein wenig mit Ökostrom, ergänzte Dr. Torsten Staack. Nicht jede KWh, die bei Ihnen ankommt, ist auch 100% Ökostrom. Aber man tut etwas Gutes und treibt die allgemeine Verbesserung voran. Ähnlich verhält es sich mit der ITW.


Mit ca. 150 Zuhörern war der Klönabend sehr gut besucht.

Mit ca. 150 Zuhörern war der Klönabend sehr gut besucht.

Kastrationsverzicht bleibt Herkulesaufgabe

Spannend bleibt es auch in Sachen Kastrationsverzicht. Eine Impfung mit Improvac ist derzeit keine Alternative., meint der Westfleisch-Einkaufsleiter Heribert Qualbrink . Er sieht hier das Problem in der Kommunikation zur Wirkungsweise des Impfstoffs. Vielleicht finden wir eine gute Möglichkeit der Schmerzausschaltung. Ebermast kann jedenfalls nicht die Lösung für alle sein. Dr. Wilhelm Jaeger von Tönnies pflichtete ihm bei: Eber lassen sich noch nicht ganzheitlich vermarkten. Wir schlachten im Moment 40.000 Eber pro Woche und wenn Landwirte auf uns zukommen, können wir die Eber abnehmen. Aber wir sind hier definitiv nicht auf der Überholspur.

 

Marktentwicklung: Schlechte Preise befeuern Strukturwandel

ISN-Marktreferent Matthias Quaing vervollständigte das Bild beim Klönabend mit aktuellen Zahlen zum europaweiten Angebot an Schlachtschweinen, der jüngsten Preisentwicklung und wichtigen Absatzmärkten. Das dreischneidige Damoklesschwert aus Überangebot, stagnierender Nachfrage und hinkendem Export wirft insgesamt die Frage auf: Handelt es sich hier noch um eine Preiskrise, oder steuern wir gradewegs auf eine Strukturkrise zu? Die Stimmung ist zurecht getrübt. Insgesamt rechnet Quaing, wie auch die anderen Experten auf dem Podium, kurzfristig nicht mit einer spürbaren Markterholung.

 

Ausblick: Vor 10 Jahren sollten wir Ställe bauen, was erwartet uns nun?

Das wollte ein Gast vor allem von Herrn Jaeger und Herrn Qualbrink als Vertreter der Schlachtbranche wissen. Die Antwort fiel bei allen Diskussionsteilnehmern nicht so eindeutig wie vielleicht noch vor 10 Jahren aus. Das organische Wachstum ist aufgrund gesetzlicher Vorgaben und verfügbarer Flächen größtenteils am Ende. Wachstum werden wir in der Landwirtschaft jetzt primär über den Strukturwandel erleben, wenn beispielsweise Hofnachfolger fehlen oder Landwirte ihren Betrieb aufgeben, und hier rechne ich fast mit derselben Geschwindigkeit wie in den vergangenen 10 Jahren, glaubt Tönnies-Vertreter Dr. Wilhelm Jaeger. Wir sind hier in Deutschland besser aufgestellt und fortschrittlicher als die meisten anderen Betriebe in Frankreich, Polen oder Spanien – mit unserer Kompetenz und Leistung können wir es durch dieses Tief schaffen, verbreitet Christian Schulze Bremer von der ISN zum Abschluss leichte Zuversicht.


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